Edith Payer


Biografie


geboren 1975 in Wolfsberg, lebt und arbeitet in Wien

1998 – 2003   Akademie der bildenden Künste Wien
2007               Preisträgerin BACA- Kunstwettbewerb, Galerie 3, Klagenfurt/Celovec
2008               Budapest-Atelierstipendium der Stadt Wien
2009               Förderungsstipendium der Anni und Heinrich Sussmann Stiftung
2010               Symposium, Artvilla Garikula, Garikula (GE)
2012               Atelierstipendium, bmukk, Cité internationale des Arts, Paris (FR)
2015               Atelierstipendium, BKA-Kunstsektion, London (GB)
2016               Atelierstipendium, Paliano (IT)
2017               Atelierstipendium, BKA-Kunstsektion, Shanghai (CHN)


Werke



Projekt bei kopf.head.glava

Text


"faces"

FACES No.1–1000 - work in progress - seit 2006 Digitalfotoarchiv Pigmentdruck, Größe Din A4

FACES ist eine fotografsche Sammlung von Pareidolien - also Gegenständen, Mustern oder Strukturierungen, die Gesichtsstrukturen erkennen lassen. Das Bildmaterial wurde dabei in ein einheitliches Format gebracht, um den Nachvollzug der erfassten Gesichter zu erleichtern.

Die Sammlung umfasst mittlerweile mehr als tausend archivierter Gesichtsformationen, erkannt an verschiedensten Gegenständen und stetigen oder flüchtigen Anordnungen verschiedener Materialien und Alltagssituationen.

   

 


Als wären wir doch sie selbst

 

Zu Edith Payers „faces“

 

von Michael Hammerschmid

 

Edith Payer sammelt Gesichter. Das heißt, was es genauer ist, was sie sammelt, ist vielmehr der Code des Gesichts, den Payer in allen möglichen Dingen, Strukturen und Oberflächen wiederfindet und den sie mit einer Fotokamera aufzeichnet und auf diesem Weg in ein einziges Format, ins Rechteck, übersetzt. Edith Payer sammelt dabei scheinbar im Irgendwo und findet in ihm, im Unerwarteten, das wieder (oft wieder!), was man selbst als das Menschlichste wahrzunehmen meint: das Antlitz. Und so nicht zuletzt das, was mit ihm seit Jahrhunderten verbunden wird, ohne dass es hier zusammenfassend referiert werden könnte, während es doch sofort mit im Raum der Betrachtung steht. Hier nur soviel: Der einzige mit den Händen in europäischen Kulturen im Alltag, auf der Straße, im öffentlichen Leben weitgehend unverdeckte Körperteil, stellt eine beunruhigend vielschichtige Konstante dessen dar, was mit dem Menschen und dem Menschlichen verbunden wird. Bei Edith Payers Gesichtersammlung kommt es nun zu einer Art Umkehrung. Hier wird nicht der Mensch als das wahrnehmende und erkennende Wesen gezeigt.

 

Edith Payers Interesse richtet sich vielmehr an die Dinge selbst, an die Materialien, auf das sie Umgebende, auf das objet trouvé. Und dieses, lernt man bei Payer, blickt einen aus allen möglichen Ecken offenbar unentwegt an, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Denn überall scheinen die Gesichter und Reflexe auf den Code Augen-Mund, das Gesicht, zu sitzen, als wollten, als könnten sie uns, uns Betrachter!, wahrnehmen und nicht nur wir sie. Etwas Beunruhigendes geht von dieser Umkehrung aus. Wie diesen Dingen und scheinbaren Blicken begegnen? Was könnte es bedeuten, wenn sie uns ähneln, wenn wir uns in ihnen wiedererkennen müssen? Oder wenn sie gar am Ende in uns etwas erkennen könnten, was wir nicht erkennen können? Edith Payers Gesichter umstellen uns in jenem Sinn, dass sie potentiell überall zum Vorschein kommen können. Edith Payer hat sie in ihrer Arbeit schlicht zum Vorschein gebracht. Indem sie sie ablichtete, gleichsam in die Kamera zog, aufs Papier, in die kleine Ewigkeit des Bildes. Und indem sie sie auf diese Weise nun aus ihren alltäglichen Verstecken oder Nicht-Verstecken herausschauen lässt. Manches ihrer Gesichter ist wohl längst schon wieder verfallen und verschwunden, etwa das Spiegeleigesicht, oder das Blatt. Andere wiederum starren wohl noch unverändert auf uns, wenn wir ihnen in „echt“ begegnen würden und sie zu erkennen bereit sind. Die weitaus größere Zahl der Bilder gehört zu dieser zweiten Kategorie. Und es scheint so, dass jede Sammlung, wie diese, dazu auffordert, uns der neuzeitlichen Methoden der Katalogisierung [1] anzuschließen.  Vielleicht liegt auch daran etwas Unheimliches: Dass die Gesichter Edith Payers viele sind, Legion. Und so, als Menge, uns entgegenblicken, in Reih und Glied, dass wir uns auch von ihnen bedroht fühlen (könnten)?! Sähe man die Komik nicht, die Skurrilität unserer selbst, und die Faktizität des Zufalls, die absurde Kombinatorik unseres eigenen Gesichterkennungsmechanismus. Komische und lustigste Typen, Nasen, Augen, Blicke sehen uns da an, es ist bittertraurig und skurril, das sind wir! Aber das sind wir nicht. Wir müssen uns diesem „wir“ entziehen, wir müssen durch unsere Maske, die uns die „Gesichter“ als Gesichter vorgaukeln, sehen, auf das, was fakisch vor uns ist: ein Handtuchhaken, ein Blatt, ein Volkswagenbus usw. Nicht immer ist es aber so leicht, die Dinge zu erkennen, sodass es vielleicht etwas verständlicher wird, dass ihre Struktur, das Muster unserer Recherche und Wiederkennungslust, von uns zuerst wahrgenommen wird. Was könnten diese Dinge noch sein? Vereinzelt sind sie zu sehen, isoliert geradezu, ausgestellt. Was könnte etwa dieses oder jenes genauer darstellen? Woraus besteht es, was sehen wir hier? Um welchen Gegenstand handelt es sich eigentlich? Wir rätseln, während uns das Inventar Edith Payers all diese Dinge mit der größten Selbstverständlichkeit hinhält, das Prinzip der Sammlung scheint evident, die Dinge klar und unverstellt vor uns, und doch erscheint nicht zuletzt wegen des schier unendlich großen Assoziationsraums und Geschichtsraums, Gesichtsraums die Sammlung überaus komplex, sosehr wir auch vermeinen, uns selbst in ihr wiederzuerkennen.

 

Zeigt das nicht einen Teil unserer Krux? Unserer Kultur? Unserer Konstitution? Vor Selbsterkenntnis nichts mehr oder viel zu wenig, vielleicht das gänzlich Falsche zu sehen? Doch was sollte dieses Falsche sein? Angesichts einer Sammlung, deren Vielfalt der Dinge und ihrer Materialien an ein Kuriositäten-Kabinett erinnert. Oder an eine Art Wunderkammer, wie es sie im 16. Jahrhundert an manchen fürstlichen Höfen gab (und aus denen in gewissem Sinn die modernen Museen entstanden sind). Edith Payers Bilder stehen hier vermutlich zwischen zwei Kulturen. Der geordneten, formalisierten, strengen Kultur einer katalogisierbaren Sammlung und einem durch Vielfalt und Zufälligkeit bestimmten Sammelsurium und ihrer wilden Kultur der Unüberschaubarkeit. Wobei natürlich zu bedenken ist, dass hier nicht Gegenstände gesammelt werden, sondern Abbilder dieser Gegenstände. Wodurch nicht zuletzt eine gewisse Distanz zu diesen Gegenständen entsteht. Wo sind sie eigentlich als solche? Bzw. wo waren sie? In welchem Moment wurden sie fotografiert? Unter welchen Umständen? Die Fragen nach dem wann und wo bleiben unbeantwortet. Die Gegenstände werden dadurch vermutlich noch unheimlicher. Oder unser Blick bloß nüchterner?

 

Auf wundersame Weise scheinen sie vor uns versammelt, auf technische Weise sind sie vor uns geordnet. Wie jedes Bild geben sie vor, die Wirklichkeit zu verewigen, zu zeigen, und sind doch nur ein Moment, ein Ausschnitt dieser Wirklichkeit, hier einer unvollständigen Gegenständlichkeit, deren Hinterseite und Lichtquelle im Verborgenen bleibt. Gespenstisch könnte man das nennen, und es beschleicht einen das Gefühl, dass man nicht nur von Dingen, auch nicht von Gesichtern, sondern vielmehr von Gespenstern umgeben ist, die ja auch in sonstigen Abbildungsversuchen aus Augen und Mund bestehen und einem Schleier. Gnoti eauton, das altgriechische Erkenne-Dich-selbst, scheint angesichts dieser Gesichter der Fluch zu sein, der uns die Welt zu einer gespenstischen Erscheinung macht, die, so sehr wie sie durch Kategorisierungen, Projektionen unserer eigenen Erkenntnisstrukturen, zu etwas Verstehbaren, Sinnvollen, Erkennbaren machen wollen, doch nicht anders als gespenstisch antwortet. Das der melancholische Fluch auch der Fülle, dem sich vermutlich allein dadurch entgegentreten lässt, indem wir doch und vielleicht etwas infantil oder auch nur unbedarft unsere Lieblingbilder suchen, unsere  Gesichter, die uns anschauen (so sagt man doch auch, wenn einem etwas gefällt, das schaut mich an), und vergleichend über sie lachen, staunen, was auch immer, als wären wir doch sie selbst!

 

[1] Sie wurde im 17. und 18. Jahrhundert, in die auch die Entstehung des heutigen Museums fällt, entwickelt und hat etwa in Linné einen ihrer berühmtesten Vertreter.

 



Ausstellungen


Auswahl an Ausstellungen

                                      
2016

fronteras en cuestion III, haaaauch, Klagenfurt/Celovec; Out of the Box, ACF London, London (GB); Lichtwürfe. Über Last und Trost der Dinge, Volkskundemuseum, Graz; Wechselspiel, kunstGarten, Graz; Psst… there is still space in outer space, Pavelhaus, Bad Radkersburg

 

2015
Nach Picasso, forum frohner, Krems; bricolage, Milchhofpavillon, Berlin (DE); Alle, die hier sind, sind von hier, <rotor>, Zentrum für zeitgenössische Kunst, Graz; Edith Payer und Alan Cicmak, size matters, Wien; Geister – vom beiläufigen Verschwinden, Kulturforum Amthof, Feldkirchen; fronteras en cuestion II, Centro de las Artes Visuales, Havanna (CU)

 

2014
Sigmund Freud und das Spiel mit der Bürde der Repräsentation, Installation von Joseph Kosuth, 21er Haus, Wien; Dislocated Materials, Galerija Remont, Belgrad (RS); binatna / about traces, Galerie Kacimi, Fès (MA); Wiener Wunderkammer 2014, Technische Universität, Wien

 

2013
zeichnen, zeichnen, Künstlerhaus, Wien; die Kubatur des Kabinetts, fluc, Wien; binatna / about traces, Le Cube – independent art room, Rabat (MA); binatna / about traces, Galerie 127, Marrakech (MA)

 

2012
Montag ist erst übermorgen, Akademie der bildenden Künste, Wien; Faces No. 1 – 500, passagegalerie, k/haus, Wien; Learning from Miroslav (keep it simple), Künstlervereinigung MAERZ, Linz; passage vers l’étrange, Le Cube – independent art room, Rabat (MA); state of the woman/ etat de la femme, Cité internationale des Arts, Paris (FR); die illustrierte Ausstellung, Künstlerhaus, Klagenfurt/Celovec

 

 


Bibliografie


Beiträge in Büchern/Magazinen
Turning Pages, in: Parabol Art Magazine, The out of the box issue, curated by section.a, 2016
Sloane’s Agony, in: EXTRA, Galerie-Seite, Wiener Zeitung, 2014
draaaaawwwwwwnnnnnn, in: FLUC – Tanz die Utopie! Hg. Martin Wagner, Ursula Maria Probst, Peter Nachtnebel, Falterverlag, Wien 2014

Vogelschau, in: Metronome 4-5-6, edited by Clementine Deliss, Frankfurt, Brüssel, Wien 1999
Patriotenserie, in: museum in progress, „Der Standard“, Wien 2000 schon, in: Chroma Drama, Trans Art, Wien 2001
emotional discussion about violence, in: techno, Wien 2004
rob peter to pay paul, in: „Theft“, guest-room, München 2004
Kanaltal, Edition “Is it a High C or a Vitamin B”, Galerie 5020, Salzburg 2007 (Gemeinschaftsarbeit mit Catrin Bolt)
Patriotenserie, in: TransAct – Transnational Activities in the Cultural Field, Hg. Cathrin Pichler, Roman Berka, Springer WienNewYork 2010
Der Prozess, in: Chancen verteilen, Arts & Culture & Education Band 6, Barbara Rothmüller, Hg. Agnieszka Czejkowska, Loecker, Wien 2011

 


Sammlungen



Artothek des Bundes, Sammlung des Belvedere, Kunstsammlung MUSA - Wien, Kunstsammlung des Landes Kärnten/MMKK